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Der Tod eines engen Freundes führte mich hierher

  • thorsten-ullrich
  • 29. Okt. 2018
  • 5 Min. Lesezeit

Erwin starb vor 5 Jahren an Speiseröhrenkrebs. Er war zwei Jahre älter als ich. Er war wie ich ein Triathlet; und er rannte wie ich durch Wälder und über Berge, strampelte wie ich bei Wind und Wetter mit dem (aerodynamischen) Rennrad durch die Landschaft verschiedener Länder und Kontinente und durchpflügte schwimmend Salz- und Süßwasserseen oder Meere. Aufgrund unseres Alters und unserer Lebensplanungen endete irgendwann das semiprofessionelle Gekämpfe und wir wurden Seniorenportler. Er wechselte seinen Beruf und brachte seinen (einzigen) Sohn auf den Lebensweg, und mit seiner Frau widmete er sich seiner Hausrenovierung.

Ich heiratete, wurde sesshaft und meine Frau und ich bekamen eine Tochter. Wir brauchten nur noch weiter zu leben.

Ich weiß noch wann und wo ich den Anruf von Erwin bekam. Es war 3 Monate nach der Geburt meiner Tochter. Ich hatte grade mein Auto betankt und saß hinter dem Lenkrad. Seine Stimme am Handy war die eines alten Mannes. Brüchig. Leise. Zitternd. Er meinte, dass er jetzt ins Krankenhaus fahren werde, um "so ne Chemo zu machen." Ich war völlig platt. Wie? Was jetzt? Warum? Seit einiger Zeit nervte in Irgendwas beim schlucken, und der Arzt sagte, dass da ist ein Tumor in der Speiseröhre ist. Eine kleine minimalinvasive OP, ein bißchen Bestahlung und der Drops ist gelutscht. Wir sehn uns.

Wir haben uns nie wieder gesehen. Die erste Chemorunde brachten einen Erfolg. Grade als ich ihn zuhause besuchen wollte, musste er auf die Onkologiestation. Eine zweite Runde Chemo stand an. Fünf Monate später war er tot.

Das hatte mich durchgerüttelt. Es war umso schlimmer, da 3 Jahre davor ein anderer Trainingskollege an einem anderen Tumor verendet war. Es war ein Verenden, da es ein Hirntumor war. Ich habe Ralf - so der Trainigskollege - im Endstadium gesehen. Ich habe drei Tage lang geweint. So erschüttert war ich. Ralf's Tod war eine Erlösung für ihn!

Im vorvorletzten Winter war meine jüngere Schwester dran. Bei ihr wurde Brustkrebs diagnostiziert. Beim MRT stellte man weiter fest, dass in ihrem Lympfsystem ebenfalls Methastasen vorhanden waren. Eine Radikalkur krempelte sie total um. Jetzt, ein 3/4-Jahr nach der letzten Behandlung, geht es ihr gut. Die Angst bleibt. Bei mir. Meine Schwester sieht das sportlich.

Bei mir wuchsen ein Zorn, eine Hilfslosigkeit, eine Wut nichts machen zu können. Nicht helfen zu können. Außer meinem Mitgefühl, meiner materiellen Hilfe oder meinem Beileid kann ich den Betroffenen oder den weiteren Angehörigen nichts geben.

Ich erhielt aber Einsicht in die karitative Unterstützung. Ich sah, dass es Menschen gibt und Organisationen vorhanden sind, die helfen und unterstützen, wenn die medizinischen Arbeiten abgeschlossen sind oder besonders gefordert werden. Sprich: Die gemeinnützigen Gesellschaften, die Krebshilfen oder Krebsgesellschaften schließen die Versorgungslücken beim Patienten und besonders bei den Angehörigen. Wer zahlt denn den täglichen Unterhalt der Eltern von krebskranken Kinder, wenn diese nicht mehr arbeiten können, weil sie jeden Tag bei dem kleinen Wurm auf der Station bleiben müssen? Wo können Ehefrauen oder Onkel, Tante, Mann, Frau, Schwester, Bruder wohnen, wenn der zu behandelnde Patient aus der entferntesten Ecke der Republik stammt, und für 6 Wochen eine Therapie angekündigt ist? Für einen sechswöchigen Hotelaufenthalt fehlt es den pflegenden Familenmitgliedern an jedem Cent! Wer unterstützt den Patienten, wenn nur diese eine Therapie hilft und dringend angewendet werden muss, die jedoch außerhalb der krankenkassenwürdigen Leistungen liegt?

Ich erkannte auch, dass nicht alle und nicht jeder sofort unterstützt werden konnte. Hier keimte eine Idee in meinem Kopf.

Seit dem Ende meiner Triathlonkarriere hatte ich nie die Beine hoch gelegt. Zwar war (und bin) ich nicht mehr so schlank und so drahtig wie früher, doch ich war immer noch gut unterwegs. Vor allem im Schwimmen räumte ich noch was weg. Ich begann das Freiwasserschwimmen (Open Water Swim) zu favourisieren. Ich startete bei diversen Deutschen Meisterschaften und weiteren Internationalen Meisterschaften. Bei Wettkämpfen ohne 5-km-Distanzen trat ich gar nicht erst an. Logischerweise konnte ich mich mit den jungen Fischen nicht mehr messen; allerdings machte ich mir bei den Masterswettkämpfen einen Namen. Dieses Gehetze wurde mir aber langsam zu eintönig und langweilte mich. Ich schwamm nun über Meerespassagen oder Langstreckenmaratonrennen. Einen mächtigen Einschlag hinterließ ich bei der Beltquerung im Jahr 2017. Mir gelang die drittbeste Querungsschwimmzeit ever! Und ich wollte mehr. Ich wollte den Englischen Kanal in Angriff nehmen. Da dieses Event logistisch, finanziell und sportlich eine mächtige Nummer ist, begann mein Ideenkeimling immer größer zu werden. Ich bat Firmen um ein Sponsoring meiner Englischen Kanalquerung. Da ein Privatvergnügen kein paarhufiges Nutztier hinterm Ofen hervorruft, verpackte ich das Swimevent zu einem karitativen Projekt. Die ersten potenziellen Geldgeber fragten mich, warum sie Geld über mich an eine Krebsgesellschaft spenden sollten, wenn diese direkt von der Firma berücksichtigt werden könnte? Ein namentlich bekannter Weltkonzern spendete an die gemeinnützige Orgnisation, die ich für meine Werbeunterstützung gewählt hatte, jedoch hatte ich von der Spende nichts. So gründete ich einen eigenen karitativen Verein. Um Spendenbescheinigungen über diesen Verein ausgeben zu können, muss man mit dem Finanzamt einen flotten Tanz vollführen, den ich aber auch schaffte. Trotzdem bekam ich von den 275 angeschriebenen Firmen nichts (quer durch die Bank: Privatbanken, staatliche Banken, Weltkonzerne oder örtliche Betriebe. Handwerksbetriebe oder produzierendes Gewerbe. Unternehmen für den Mann oder die Frau, für Kind und Kegel, egal ob Essen, Trinken, Schlafen, Bauen, Auto, Bekleidung, Convenience, Pommes, Mayo, Ketch-Up, alles dabei)! Nein falsch, nicht ganz nichts. Ich habe 65 Müsliriegel und eine Pallette coffeinhaltige Schweitzer Brause bekommen - von der man fliegen kann.

So mein Freund! Jetzt erst recht! Ich stellte mir die Fragen: Warum muss ich unbedingt eine Passage schwimmen, die sich so langsam zum Mount Everest des Schwimmens entwickelt? Warum muss ich 4000,- Euro organisieren, eine dreijährige Beantragungszeit und Wartezeit in Anspruch nehmen, wenn ich genügend Wasser um mich herum habe? Warum mache ich nicht etwas, was noch nie jemand gemacht hat? Warum organisiere ich mein Marathonschwimmen nicht selber? Warum mache ich daraus kein Benefiz-Schwimm-Cup vor Ort für Betroffene vor Ort, und bitte Leute und Unternehmen vor Ort nicht um Spenden und Unterstützung? Warum organisiere ich das nicht selber und stelle mir mein eigenes Team zusammen?

Warum lasse ich den Keimling, der nun zu einem großen Baum gewachsen ist, nicht voll, satt und grün werden? Warum sollte ich warten? Warum soll Erwin, der oben im himmlischen Swimmingpool sitzt und ein Isogetränk mit Milch und Honig schlabbert, das nicht im Jahr 2019 erleben? Warum soll Ralf das nicht erleben? Warum soll meine Schwester das nicht von ihrem großen Bruder gezeigt bekommen? Warum sollte es nicht gelingen die Anwohner, die örtlichen Unternehmen, die Touristen, die Behörden, die politiker, die Polizei und das weltweite Netz dafür zu interessieren? Was spricht gegen einen Rekord? Der Rekord an einem Tag im Jahr 2019 von Ratzeburg bis nach Travemünde zu schwimmen? Der Rekord im Jahr 2020 von Travemünde bis zur Fehmarnsundbrücke zu schwimmen? Der Rekord im Jahr 2021 als Schnellster um die Insel Fehmarn zu schwimmen (ohne Neoprenanzug, da Wolfgang Kulow vor 20 Jahren schon einmal im Taucheranzug um die Insel schwamm)? Und letztendlich der Rekord von der Femarnsundbrücke bis nach Behrensdorf/Todendorf zu schwimmen, im Jahr 2022?

Die Antwort ist ganz einfach: Es spricht nichts dagegen!!

Mein Name ist Ulli Stägemann, ich bin Ultraschwimmer.

 
 
 

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