Eiswasserschwimmen. Warum?
- thorsten-ullrich
- 20. Nov. 2018
- 7 Min. Lesezeit
Gestern hatten wir schon Wassertemperaturen, die für das Eiswasserschwimmen ernst genommen werden könnten. Die Wassertemperatur betrug 5,9°C, die Lufttemperatur 6°C und ein gewisser Windchill war auch vorhanden. Alles drei zusammen hatte einen gehörigen Einfluss auf mein Wohlbefinden beim Schwimmen in diesem Gewässer.
Im Gegensatz zu den „Kälteschwimmen“ der Wochen davor, ging die nur um 2°C abgesunkene Wassertemperatur gehörig auf den Kreislauf. Ich blieb auch nur 14 min im Wasser.
Der „Afterdrop“ war umso heftiger. Ich saß hinterher im Auto, war am Zittern, verschüttelte den heißen Tee und fluchte.
Ich fragte mich ernsthaft, was zum Henker ich da gemacht hatte!!?
Vor zwei Wintern fing ich mit dem Eiswasserschwimmen an. Eher aus der Not geboren, als wirklich gewollt.
Im Rahmen meiner Vorbereitungen für die Beltquerung war ich zu dem logischen Schluss gekommen mich auf kühlere Gewässer einzustellen, als auf die in der Schwimmhallenbecken oder der „Schutzschwimmen im Neo“. Als ehemaliger Triathlet war Mann ja schon am Zittern, wenn das Wettkampfgewässer weniger als 20°C hatte. Auch in der Neopelle.
Ich bereitete mich vor. Mental. Über Videos der „Englischen Kanalquerungen“ auf youtube kam ich an die Eiswasserschwimmer heran.
Ich sah Schwimmwettkämpfe in ausgeschnittenen Eislöchern in russischen oder sibirischen Seen im tiefsten Winter.
Da dachte ich erst: Das kann nicht sein!
Dann sah ich Schwimmer in geleinten Wettkampfbecken aus Holz in Seen die ansonsten zugefroren waren.
Da tröstete ich mich mit dem Gedanken, dass das ja typisch Russen oder ehemalige Wikinger seien (wobei die Rus auch Wikinger sind – die Ruderer).
Dann sah ich Christof Wandratsch, der Deutsche, der nicht nur mitschwamm, sondern auch dauernd gewann und Weltrekorde im Eiswasserschwimmen aufstellte.
Da dachte ich mir: Nöh! Lass den mal machen! Für mich kommt das nicht in Frage!
Dann las ich in einer lokalen Hamburger Zeitung von einem der aus der Nähe von Hamburg kam und auch so etwas machte.
Im Laufe der Zeit erkannte ich dann, dass immer mehr Open-Water-Swimmer nach und nach Ice-Water-Swimmer wurden.
Selbst im Eiswasser schwimmende Frauen wurden immer mehr und immer besser. Conny Prasser aus Moritzburg, auf die ich während meiner Beltquerungsvorbereitungen stieß, da diese die Strecke doppelt schwimmen wollte, ist ebenfalls schon seit einigen Jahren Eiswasserschwimmerin und vollendete die Ice-Mile und ist nebenbei noch Ice-Ironwoman.
Irgendwann sagte ich mir: Probiere das auch mal aus!
Die letzten beiden Winter sprang ich zwar jeden Sonntag ins kalte Wasser, blieb dort allerdings nicht länger als 3 min 30 sec, da ich meinte das dann nicht mehr überleben zu können. Zusätzlich trug ich eine Neoprenkappe und schwamm Rücken, um ja nicht mit dem Kopf vollständig unter Wasser zu müssen.
Kurzentschlossen meldete ich mich dieses Jahr für die „5-ten German Open Eiswassermeisterschaften“ am ersten Januarwochenende 2019 in Veitsbronn an, um mich selbst unter Druck zu setzen.
Jedoch meldete ich nur über zwei 50-m-Strecken und eine 200-m-Strecke. Ich war ja der Meinung, dass ich längere Zeiten im kalten Wasser nicht überleben werde.
Mit Ende des Sommers war mein „Draußen-Schwimmen“ nicht vorbei. Ich schwamm (und schwimme) nun zweimal in der Woche in meinem heimischen Fluss.
Ich genoss es selbst dann draußen zu schwimmen, als alle Skipper ihre Segelboote winterfest machten. Die Ruderer und die Surfschule am Flussufer hatten alles eingepackt und eingeschlossen. Das Fluss-Freibad hatte schon längst geschlossen, da die Badesaison zu Ende war. Ich schwamm immer noch draußen.
Zweistellige Wassertemperaturen sind für geübte Open-Water-Swimmer immer noch angenehm (nach einer gewissen Zeit), allerdings trennt sich die Spreu vom Weizen, wenn das Thermometer unter die 10°C-Marke fällt.
Conny und Wandi ermahnten mich, dass es auch so etwas wie Wettkampregeln und Sicherheitsstandards gibt. Diese beherzigte ich (auch in Zukunft).
Via Facebook sah ich, dass es überall, solch Durchgebrannte wie mich gab. Alle sind ganz wild auf die German Open und posten Fotos mit Wassertemperaturen, die nun langsam die 0°C-Marke erreichen.
Ich sah, dass es eine weltweite Eiswassercommunity und einen Weltverband gab. Ich schaute mir alles an, und versuchte heraus zu finden, wie trainiert und sich vorbereitet wird.
Immer wieder wird der After-Drop erwähnt.
Es wird immer auf den gefährlichen „Wohlfühlpunkt“ im kalten Wasser hingewiesen.
Ich war erschrocken, als ich genau das zum ersten Mal gefühlt und erlebt hatte. Hier wurde mir klar, dass ich in Lebensgefahr war.
Jetzt musste sich die Theorie angeeignet werden.
Ich musste mir klar werden, dass die extrem kalte Wassertemperatur den Körper in Alarm und in einen selbstschützenden Zustand versetzt. Sämtliches Blut wird aus den obersten Hautschichten (Blutgefäßen) und extremen Gliedmaßen abgezogen, und zur Versorgung des Körperkerns und des Gehirns gebraucht. Hauptsächlich wird die Wärme (versucht) zu erhalten. Es kann durchaus passieren, dass die Kerntemperatur bis zu 4,5°C abnimmt.
Allerdings ermöglicht dieser Schutzreflex, dass ein Mensch eine längere Zeit im kalten Wasser verweilen kann, ohne gleich zu sterben. Dauerhaftes Training in kalten Gewässern wandelt die obersten Fettschichten des Körpers in eine Art „Bioprene“ um. Somit kann man länger als jeder Normalverbraucher im kalten Wasser schwimmen.
Die heftige Atmung zu Beginn des Schwimmens birgt die Gefahr, dass man Wasser in die Luftröhre und Lungen inhaliert. Hier ist Übung, Geduld und Erfahrung gefragt. An mir merkte ich, dass das „Fauchen“, „Pumpen“ und „heftige Atmen“ immer kürzer und weniger wird, sobald ich den Oberkörper unterhalb der Wasseroberfläche habe.
Ich merke, dass während des Schwimmens im kalten Wasser meine Sinne schärfer werden. Besonders an den Augen merkte ich eine Verbesserung, denn ich konnte Menschen am Ufer erkennen, die ich sonst unscharf sehen würde. Ich bin nämlich ziemlich kurzsichtig.
Dass die Arme und Beine quasi amputiert sind, stellt sich sinngemäß schnell ein. Hier habe ich immer die Filmsequenz von „Terminator 2“ im Kopf, wo der T-1000 durch flüssigen Stickstoff schockgefrostet wurde, und Arnold Schwarzenegger ihn mit der Schrotflinte in Millionen Metallstücke zerlegt. Ich glaube ich würde es auch nicht merken, wenn während des Schwimmens meine Arme, Beine, Hände und Füße abgeschlagen werden.
Die Schärfe meines Verstandes lässt mich unentwegt meinen Körper scannen. Während der Schwimmzeit bin ich ständig am checken und kontrollieren, was wo in meinem Körper grade abgeht. Ich achte auf jedes Signal. Bei der gestrigen Kälte merkte ich wieder dieses „wohlige Gefühl“, was für mich das Zeichen ist/war SOFORT aus dem Wasser rauszugehen. Daher schwamm ich „nur“ 13 min. Sobald man „Wärme“ im kalten Wasser fühlt, ist man in Todesgefahr.
Wie der „Iceman“ Wim Hof sagte, es macht keinen Sinn den Tod sehnsüchtig herauszufordern. Jedoch muss mit dem „Kopf“ nun „gearbeitet“ werden. Meinem Erachten nach, ist genau das der Punkt, der mich angefixt hat.
Raus aus der Comfort-Zone. Komme an den Punkt der wirklich wichtig ist im Leben.
Diesen Punkt bzw. die entscheidende Situation hatte ich in der Vergangenheit nur einmal.
Bei meinem ersten Ironman-Wettkampf 1995 (in Roth) beim Laufkilometer 7 km.
Mit einem Mal machte der Motor aus. Schluss! Motorschutzschaltung! Ich konnte keinen Schritt mehr machen.
Der körpereigene Schutzmechanismus hatte sich eingeschaltet.
Ich war an der Tür zu einem anderen Raum. Konnte diese aber nicht mehr öffnen.
Nach einer unendlichen Zeit regenerierte sich der Körper aber, und ich konnte damals den Wettkampf beenden. Den anderen Raum betreten.
Dieses Erlebnis zeigte mir aber, dass ich vor nichts und niemanden mehr Angst zu haben brauche. Vor allem nicht vorm Leben.
Genauso ist es beim Aufenthalt im kalten Wasser.
Das maßvolle und langsame Aufwärmen ist ein weiterer Bestandteil des Eiswasserschwimmens. Das Eiswasserschwimmen ist erst nach dem „Afterdrop“ zu Ende.
Es soll auf keinen Fall sofort warm geduscht oder ein heißes Bad genommen werden. Das gesammelte warme Blut im Körperkern wird zu schnell in die oberflächennahen Blutgefäße befördert, und die restliche Wärmeenergie wird auch noch nach außen abgegeben. Mit dem Verschwinden der Restwärme geht der Blutdruck nach unten und man wird bewusstlos.
Die Devise ist, raus aus den nassen Klamotten, abtrocknen, trockene warme Kleidung anziehen. Hände, Füße und Kopf zuerst bekleiden, dann den Oberkörper und zum Schluss die Hose an, und ab ins warme Auto o.ä.
Dort kann die Heizung angeschaltet werden, und das Sitzen hilft dem Kreislauf sich zu stabilisieren. Heißer Tee mit Zucker unterstützt ebenfalls den Kreislauf und das Warm werden.
Die reflektierenden goldenen (oder silbernen) Wärmefolien, wie sie ab und zu nach Marathonläufen o.ä. gereicht werden, helfen überhaupt nicht. Da der Körper keine Wärme abstrahlt. Alkohol ist ein absolutes no-go. Wer es kann und mag, kann auch gehen um warm zu werden.
Das Aufwärmen und Zittern hängt natürlich von den Wassertemperaturen, der Dauer des Aufenthalts im Gewässer und der Tagesform ab. Ich hatte „afterdrops“, die waren nach einer viertel Stunde vorbei. Gestern saß ich allerdings eine dreiviertel Stunde im Auto und verschüttete meinen Tee, da ich extrem klapperte.
Dann aber. Dann fühle ich mich großartig und der Tag ist mein bester Freund. Zusätzlich sind alle meine Wehwechen verschwunden; Muskelkater, Sehnenreizungen, Gelenkschmerzen usw.
Ab dem nächsten Eisschwimmen werde ich mir noch einen Hocker mitnehmen, um beim anschließenden Anziehen der Socken ein wenig sitzen zu können. Mit zunehmender Kälte kann ich mich weder zu den Füssen bücken, noch die Beine zum Sockeanziehen hochnehmen.
Die Angst den Kopf beim Schwimmen unter Wasser nehmen zu müssen ist unbegründet. Die Augen und den Jochbogen deckt eine große Schwimmbrille ab. Selbstverständlich wird die Schädeldecke kalt und es zwickt manchmal, doch kann mein Kopf die Kälte nun ertragen. Laut den Wettkampfregeln ist nämlich nur das Tragen einer Schwimmkappe erlaubt. Das Reden ist nach dem Verlassen des Wassers unmöglich, da Lippen, Zunge und Mundhöhle steif wie Eis sind. Manchmal ist es gar nicht so schlecht den Mund halten zu können.
Zum Schluss weise ich noch auf einen Spielfilm hin. Diesen habe ich vor einigen Jahren gesehen, und zeigte mir was alles im Angesicht des Todes geht.
Der 2012 heraus gekommene Kinofilm „The Deep“ handelt von einer wahren Begebenheit.
Der isländische Fischer Guðlaugur Friðþórsson, überlebte als Einziger den Untergang eines zuvor gekenterten Fischtrawlers im Eismeer.
Nach dem Untergang schwamm er sechs Stunden im 5°C kalten Nordmeerwasser und gelangte an die Küste Islands. Die anderen vier Fischer sind ertrunken bzw. erfroren.
Da die Geschichte unglaubwürdig war, wurde der Fischer später wissenschaftlich und medizinisch untersucht. So ganz konnte der Grund nicht gefunden werden. Allerdings sprechen seine besondere Fettschicht (der Mann war beleibt) und sein unbeugsamer Wille für das Überleben.
Einen Ausschnitt der Beschreibung des Fischers füge ich diesem Text an.
Zum Zeitpunkt seiner Rettung betrug Guðlaugurs Körpertemperatur weniger als 33 °C (in einigen Quellen 35 °C), was normalerweise zu erheblichen geistigen Einschränkungen in Form von u. a. Verwirrtheit führt. Guðlaugur zeigte jedoch trotz der Unterkühlung weder geistige Einschränkungen noch erhebliche Erfrierungen und überstand das Unglück nahezu unverletzt.
Der Vorfall wurde ab 1985 auf Betreiben von Jóhann Axelsson, Leiter der Abteilung für Physiologie der Universität von Island in Reykjavík, in London unter der Leitung von William R. Keatinge am London Hospital Medical College untersucht. Unter anderem wurde er zusammen mit Navy-Schwimmern in Becken mit Eiswasser gesetzt. Guðlaugur, der nicht sportlich trainiert war, ertrug die Kälte bei weitem besser als die trainierten Soldaten. Man stellte fest, dass Guðlaugur über eine seltene Fettstruktur verfügt, die eher an Robbenfett erinnert, da seine subkutane Fettschicht ungewöhnlich dick ist. Selbst mit dieser ungewöhnlichen Eigenschaft hätte Guðlaugur den Wissenschaftlern zufolge aber nicht so lange in kaltem Wasser überleben dürfen. Ein guter Teil seines Überlebens sei, so die Wissenschaftler, auf seine mentale Stärke und seine Weigerung zu sterben zurückzuführen.
Aus: Wikipedia, Guðlaugur „Laugi“ Friðþórsson (transkribiert Gudlaugur Fridthorsson)
Mein Name ist Ulli Stägemann, ich bin Ultraschwimmer.
Quellennachweis:
Bildnachweis:
Filmplakat: The Deep, t2.gstatic.com
Spiegel-online.de
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